Unter dem Dach der Selbsthilfekontaktstelle KISS ist die gemeinschaftliche Selbsthilfe in Stuttgart nicht mehr wegzudenken. Sie hat ihren Sitz in der Tübinger Straße. Der Zulauf in die Selbsthilfe-gruppen ist sehr groß. Sich selber helfen, im Austausch mit anderen Betroffenen darüber reden, ist nicht immer einfach, ganz besonders am Anfang nicht, es erleichtert aber vieles. Denn die Betroffenen merken dabei ganz deutlich, ich bin ja nicht alleine, andere haben die gleichen Probleme wie ich selber. Sich selber abkapseln führt irgendwann einmal zur totalen Isolation, man kommt sich dann vor, wie in einem Hamsterrad oder in einem Schneckenhaus und findet keinen Ausweg mehr. Wenn man zum Beispiel die alles vernichtende, ärztliche Diagnose bekommt: „sie haben eine genetisch bedingte Augenkrankheit, sie werden erblinden, machen kann man dagegen nix, schließen sie sich einer Selbsthilfegruppe an.“ Und nun, was jetzt?? Das große, schwarze Loch versucht einen wie ein einäugiger Zyklop zu verschlingen.
Die Regionalgruppen Stuttgart und Tübingen waren wieder mit einem Infostand über das Thema Augenkrankheiten vertreten, zumal dies ja ein ureigenes Thema der PRO RETINA ist, nämlich Hilfe zur Selbsthilfe. Wir informierten über Makula Degeneration, über Retinitis Pigmentosa und über Usher. Natürlich ist Barrierefreiheit in aller Munde.
Am Samstag, 22.10.2016, präsentierten sich von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr ca. 70 Selbsthilfegruppen im Treffpunkt Rotebühlplatz zusammen mit der Volkshochschule und zeigten ihre Angebote und Hilfestellungen auf. Trotz steigender Medienpräsenz wie Internet, Facebook und andere soziale Medien wenden sich immer mehr Menschen bei Problemen an Selbsthilfegruppen. Nicht nur der „Otto-Normalverbraucher“, also Menschen wie du und ich wenden sich an die Selbsthilfe, sondern auch Promis. Die Liste reicht von Sportler über Politiker, über Polizisten und Bahnführer, welche einen Menschen überfahren haben, oder Manager mit Burnout, seelischen Depressionen und anderes mehr. Oder Unfallopfer oder Terrorbetroffene. Gerade unsere schnelllebige Zeit fordert dies ein. Ein Suizid, der manchmal als allerletzten Ausweg gesehen wird, hilft niemand. Im Gegenteil, die Hinterbliebenen, die Angehörigen, die Familien müssen mit dieser Tatsache leben. Unsere Väter und Großväter, welche als Soldaten die Grauen der Weltkriege überlebt hatten und seelisch angeknackst heimgekehrt sind, heute sagt man, sie sind traumatisiert, dachten damals nicht im Traum daran, sich an eine Selbsthilfegruppe zu wenden. Die gab es zu dieser Zeit noch gar nicht. Heute sind traumatisierte Soldaten, welche aus Kampfeinsätzen zurückkehren, keine Seltenheit in der Selbsthilfe mehr. Die Themenliste kann beliebig verlängert werden. Es ist nicht nur der Soldat, denken wir nur an die Menschen, welche den Stress oder das Mobbing in der Berufswelt nicht mehr aushalten. Und der Satz: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, der stimmt schon, aber er löst nicht alle deine Probleme. Im schwäbischen sagt man: „der Herrgott hilft dir schon, deine Last zu tragen, aber du musst selber auch was dazu tun.“ Und ganz wichtig: man muss auch bereit sein, sich helfen zu lassen, sonst wird das nix.
Fotos/Text: Thomas Stetter