Jedes Licht und jede Kerze zählt

Im Sommer schenkt uns die Sonne Licht in Hülle und Fülle, denn ohne Licht gibt es kein Leben auf dieser Welt, dazu noch ausreichend Wärme. Doch jetzt, wenn die Tage kürzer und dunkler werden, wird uns da die Kostbarkeit des Lichtes und der Wärme bewusst? Bei manchen Menschen kann man das klar verneinen, denn da wird halt das Licht in der guten Stube teilweise schon um 17:00 Uhr eingeschaltet, wir haben es ja, der Strom kommt bei uns direkt ins Haus. Es gibt aber viele Leute, die haben keinen Strom, so wie wir. Da, wo das Dunkel Zweifel sät, in unsere Seele, in unser Gemüt, kann nur viel Licht das Dunkel vertreiben. Wahrscheinlich liegt auch hierin die Erklärung, warum wir gerade den Kerzenschein in dieser vorweihnachtlichen Zeit so sehr lieben. Es ist die Magie des Lichtes.

Eine einzige Flamme vielleicht, die kann die Dunkelheit nicht besiegen, denn dazu ist sie zu klein. Warum wohl werden unsere Städte gerade in der vorweihnachtlichen Zeit zu wahren Lichtermeeren? Warum geben zum Beispiel in den USA viele Menschen sehr viel Geld aus, um ihre Häuser mit immer mehr Lichtern zu schmücken?
Und wenn man jetzt gedanklich ganz weit nördlich ist, zum Beispiel in Island, Norwegen, Finnland oder Schweden, da gibt es viele Geschichten in den dunklen Nächten, manche sagen auch Rauhnächte dazu.

Hörst du es? Hörst du sie singen? Wen soll ich hören?

Ich halte den Atem an und lausche in die Nacht. Nein, ich höre nichts. Vielleicht kann ich das gar nicht hören oder ich will es nicht hören. Aber immer wenn es so still ist, spielen sie. Wer spielt hier wo? Zwischen den Felsen leben Huldren. Oft ziehen sie an einem kleinen Wasserlauf entlang zum Meer. Dann erklingen ihre Flöten und manchmal auch Harfen. Im Norden sagen die Menschen: Bei uns hat sie jeder schon mal gehört. Nur ihr Städter hört nix. Sind wir zu doof dazu? Oder sind wir zu hektisch? Das ist es also: Huldren sind jene musikalisch begabten Geisterwesen weiblicher Natur, die hier im Norden, unterhalb des Polarkreises Wanderer vom Weg abbringen, den Bauern die Sinne betören und die Fischer in falsche Fahrwasser locken. Sind Huldren etwa eine Art Loreley? Laut den Berichten und Erzählungen sind sie unwiderstehlich verführerisch sexy und dabei haben sie nichts anderes im Sinn, als speziell ihre männlichen Opfer an der Nase herumzuführen oder gar zu vernaschen. Sie lieben es, wenn in den dunklen Monaten November und Dezember die Sonne hinter dem Horizont verschwindet und am nächsten Tag nicht wieder auftaucht. Dann beginnt hier oben, weit jenseits des Polarkreises, die Merketid – die Dunkelzeit. Für einen Monat legt sich Nacht über das Land. Nordlichter flackern jetzt am Himmel und nur mittags leuchtet fahles Dämmerlicht herauf. Es ist aber nicht genug, um Trug von Wirklichkeit zu scheiden. Vor den lichtschwachen Augen der Menschen erwachen Felsbrocken plötzlich zum Leben, fangen Büsche an zu tanzen. Kobolde treiben ihr Unwesen, in den Bergen raufen sich die Trolle. Doch am geheimnisvollsten sind die Klänge der Huldren. Wenn ich sie bloß auch mal hören könnte. Ja aber, so könnte man jetzt einwenden, wir sind doch hier in Stuttgart und nicht am Polarkreis. Hier gibt es keine Huldren, ich jedenfalls habe noch keine gesehen und auch nicht ihre Musik gehört. Aber interessant wäre das schon. Selbst Millionen von Lichtern können die Nacht, egal wo sie ist, nicht abwenden. Das kann niemand. Deswegen muss man aber nicht resignieren.
Ist es vielmehr nicht so, dass jedes Licht und sei es noch so klein, etwas verändert? Etwa in uns? Und es gibt doch so viele Möglichkeiten und Chancen, ein Licht zu entzünden? Ein Streichholz genügt schon. Manchmal genügt auch ein freundliches Wort, eine Geste des Verständnisses, ein zufälliger Akt der Freundlichkeit einem Fremden gegenüber, ein Zeichen, dass wir an einen Menschen gedacht haben – all das sind letztlich auch Lichter. Zugegebenermaßen sind sie, jedes für sich genommen, scheinbar unbedeutend. Aber die Wahrheit ist, nur so lässt sich das Dunkel der Einsamkeit, der Lieblosigkeit, der Gleichgültigkeit und des schlechten Willens vertreiben – nicht mit großen Gesten oder gar hochtrabenden Plänen.

Es sind die kleinen Lichter, die die Welt zu einem besseren Ort machen können. Mit einer Kerze in der Hand bei einer Demo oder im Geiste werden wir zwar keine Kriege gewinnen, geschweige denn eine Schlacht schlagen, doch wir setzen der Nacht etwas entgegen, ein Licht, eine Kerze. Friedlich und in aller Bescheidenheit. Und wer weiß, wenn ganz viele kleine Lichter zusammen kommen, dann kann daraus sogar ein Meer an Helligkeit werden.

“Tausende von Kerzen kann man am Licht einer einzigen Kerze anzünden, ohne dass ihr Licht deshalb schwächer wird. Freude nimmt nicht ab, wenn sie geteilt wird.” Diese Worte hat der indische Prinz Siddharta gesagt, der später zu Budda werden sollte. Denn eines ist ganz wichtig und nicht nur im Advent oder an Weihnachten: Jede Kerze und jedes Licht zählt.

Nun wünsche ich Ihnen allen, euch allen eine ruhige und geruhsame Adventszeit, Frohe Weihnachten, bleiben Sie alle gesund und munter
und wir sehen uns wieder.

Thomas Stetter
Landesansprechpartner Baden – Württemberg
PRO RETINA Deutschland e.V.